Matterhorn-Überschreitung 25.-29. July 1924
Vortrags-Manuskript von Christoph Rotter aus dem Jahr 1924 im Wortlaut


„Über eine Reise durch die Schweiz und Besteigung des Matterhorns von der Italienischen zur Schweizer Seite“
 
Meine sehr verehrten Zuhörer,
wir werden heute eine Reise durch die Schweiz nach Zermatt machen - um von dort das Matterhorn von der italienischen zur Schweizer Seite zu überschreiten.
Das Matterhorn spielte in meinen Träumen stets eine hervorragende Rolle. Oft dachte ich, wann wird es dir vergönnt sein von da oben das Meer von Bergen und Tälern zu schauen. Nun sollte die Träumerei ihr Ende finden.
Am Sonntag, den 25. Juli traten wir zu fünft die langersehnte Tour an um das schöne Land der Schweiz und das Matterhorn kennenzulernen. Der D-Zug brachte uns von hier nach Lindau. Nach kurzer Zeit verlassen wir den Hafen und unser Dampfer segelt bei klaren Wetter nach Romanshorn. Unsere Blicke wenden sich nach rechts wir sehen das herrlich ausgebaute Bad Schachen.
In Romanshorn angekommen fahren wir dann mit dem Zug über Zürich nach Bern, das ist unser heutiges Ziel. Bern die Hauptstadt des volkreichsten und zweitgrößten Kantons liegt auf einem von der Aare umflossenen Felsplateau. Am nächsten Tag fährt uns die Bahn nach Thun, eine altertümliche Stadt bildet in seiner reizenden Lage an der raschen, grünen Aare eine würdige Eingangspforte zum Berner Oberland. Prächtig ist der Blick auf die Schneegipfel der Blüemlisalp. Über der Stadt ragt weit sichtbar der kräftige, von Ecktürmen flankierte Turm des 1182 erbauten Zähringen-Ryburger Schlosses. Wir fahren eine kurze Zeit am Ufer des Thuner Sees entlang, dann durch das Kandertal über Spietz nach Brig.

Von Spietz nach Brig führt man mit der Lötschbergbahn - die in den Jahren 1906-1913 erbaut wurde, durch 34 Tunnel und über 22 Brücken. Ihr höchster Punkt 1244 m liegt in der Mitte des großen Tunnels. Die Bahn steigt in zwei großen Schleifen, wovon die zweite sich in einem 1645 m langen Tunnel zurückbiegt an der Ruine Felsenburg vorbei. Man sieht diese zuerst über sich, dann vor sich und zuletzt unter sich. Nach der Station Kandersteg tritt die Bahn in den 14500 m langen Lötschbergtunnel. Von dort geht es wieder hinab ins Tal über Brig, dem Knotenpunkt für die Simplonbahn, die Lötschbergbahn und die Furkabahn, nach Visp. In Visp betreten wir die Zahnradbahn welche uns nach Zermatt bringt – sie ist von Juni bis Oktober in Bet+rieb. Die Bahn wendet sich nach Süden der grauweißen, raschen Visp zu. Links und rechts Weinberge, führt sie sehr steil in die Höhe. Am rechten Ufer bei den Hütten von Zermatt führt sie zum letzten Mal über die Visp hoch über den schäumenden Fluss und wir sehen schon im Hintergrund die eisgepanzerten Berge, das Breithorn und das kleine Matterhorn. Wir fahren noch eine kurze Strecke in diesem Hochtal, dann noch ein kurzes Tunnel und plötzlich tritt im Hintergrund das Matterhorn hervor - wir sind in Zermatt. Vor uns liegt im Mittelgrund der schuttbedeckte Gornergletscher, oben die Schneefelder des Theodulgletschers, links das kleine Matterhorn und Breithorn und rechts das gewaltige Matterhorn.

Zermatt, ein internationales Dorf mit 800 Einwohnern, liegt 1620 m hoch umgrenzt von grünen, steilen Bergen. Zermatt hat einen König. Hochragend thront über ihm ein Gebieter, um den sich alles in diesem engen Hochtal dreht, zu dem die Fremden mit Staunen und Grauen, die Einheimischen mit Dank empor blicken. Denn ihm schulden sie es in erster Linie, dass aus dem weltentfernten Gebirgsdorf die menschenwimmelnde Touristenstation mit ihren vierstöckigen Hotels und ihrer Zahnradbahn, das gelobte Land der Alpersteiger geworden ist. Der König ist das Matterhorn. Alle Welt spricht von ihm, tagaus, tagein, solange der Fremdenstrom die Kammern flutet. Leute, die nie auf einem Hochgipfel waren, wissen mit den Verhältnissen des Riesen genauesten Bescheid. Als wäre es gestern gewesen, erzählt man sich allstündlich die Einzelheiten der ersten Besteigung am 13. Juli 1865. Dieser kühne Felszacken wurde im Jahr van den Engländern: Edward Whymper, Charles Hudson, Francis Douglas, Robert Hadow mit den Führern Michel Croz und den zwei Taugwaldern das erste Mal bestiegen. Beim Abstieg trat jene grässliche Katastrophe ein, ein schauerliches Memento. Hadaw glitt unweit des Gipfels aus und stürzte mit Hudson, Douglas und Croz über die Nordwand nach dem Matterhorngletscher, während Whymper und die zwei Taugwalder durch Reißen des Seiles gerettet wurden.

Die Gornergratbahn, eine Zahnradbahn mit elektrischen Betrieb vom Juni bis September, überschreitet die Visp und steigt an der östlichen Talseite aufwärts mit Ansicht auf Triftgletscher, Wellenkuppe, Trifthorn und Rothorn, auf der hohen, von Steinpfeilern getragenen Eisenbrücke über die Schlucht des Findelbaches. Sie führt durch drei kurze Tunnel und im Bogen durch den Unteralptunnel mit Blick auf das Matterhorn. Die Bahn erreicht eine Höhe von 3120m bei der Endstation Gornergrat unterhalb des Kulmhotels.

Wir kehren nun zurück nach Zermatt, unsere Rucksäcke werden etwas entlastet – wir sind fertig zum Abmarsch. Wir verlassen am Montag zwei Uhr nachmittags Zermatt. Wir schreiten durch das alte Zermatt der Visp entlang dem Matterhorn entgegen. Es ist ein prächtiger Sommertag. Klar scheint die Sonne aus dem tiefblauen Himmel herab, eine flimmernde Glut liegt über dem Tal. Je höher wir steigen, umso mehr reckt sich das Matterhorn in die Höhe, scheint ins Ungeheure zu wachsen. Es geht nun durch herrliche Arvenwälder hindurch in die Region von Felstrümmern. Wir haben hier eine wunderbare Sicht in die Eiswelt die sich jenseits des Matterhorns hervorhebt. Das Breithorn, Zwillinge, Lyskamm und der alles überragende Monte Rosa. Eine ungeheure Mauer von Eis und Schnee. Nach vierstündigem Steigen erreichen wir die Gandegghütte unterhalb des Breithorns auf 3322m.

Von hier sehen wir das Matterhorn als Pyramide. Der Gipfel ein eisiger Zacken ragt in den blauen Äther hinein- strahlend umflutet von dem unendlichen Licht. Abends hatten wir einen wunderbaren Sonnenuntergang mit einer herrlichen Beleuchtung des Monte Rosa und des Breithorns. Es war fast ein Alpenglühen, das uns ein wenig Schrecken einjagte, denn wir wissen, dass auf dasselbe schlechtes Wetter folgt. Noch ein kurzer Rundblick und wir legten uns zum Schlafen nieder.

Die Nacht war sehr kalt. Früh vier hieß es raus aus den Federn. Nach einer viertel Stunde verließen wir die Hütte. Es ist ziemlich frisch, kalter Wind bläst uns entgegen. Über uns der klare Himmel mit leuchtenden Sternen und vor uns das Matterhorn. Um dreiviertel fünf betreten wir den (Furgg-) Gletscher. Wir seilen uns an und raschen Schrittes geht es dem Matterhorn zu, das dunkel, drohend und übermächtig auf uns herabblickt. Der Gletscher, der hier spaltenfrei und beinahe eben ist wird schnell überschritten. Einige schweigende Minuten sind vergangen, da flammt es plötzlich an der Spitze des Matterhorns rotleuchtend auf. Nur ein kleiner Punkt, dann da und da. Es ist als entzünden sich die Berge mit einem Male. Und rasch vergrößert sich das Licht, in feurigen Wellen flutet es an den Riesen herab, die plötzlich in ungeahnten Glanz hervortreten, während drunten im Tal noch das eintönige Grau herrscht. Nach sehr mühsamen und beschwerlichen Aufstieg über sehr steile Eishänge erklommen wir unter manchen Schweißtropfen das Furgenjoch (3500m), dort werfen wir unsere Rücksäcke ab und halten eine kleine Pause.

Nun geht es auf der anderen Seite wieder hinab und wir umgehen das Matterhorn auf der Südseite über Eis und Schneehänge bis wir auf den Weg kommen der von der italienischen Ortschaft Breuil heraufzieht. Diesen verfolgen wir nun aufwärts und nach kurzer Zeit sind stehen wir vor einem Eisenkreuz. Hier ist der italienische Führer Carrel in einem Schneesturm von Ermattung gestorben. Das ist das erste Wahrzeichen des Berges, dem auch dieser Kämpfer zum Opfer fiel, nachdem er ihn Jahrzehnte hindurch bestiegen hatte. Der Weitermarsch führt über mächtige Felsenabsätze, die sogenannte Große Treppe, hinauf. Dann folgt ein steiles Firnfeld das zum „Col de Leone“ hinaufzieht. Es ist so steil, dass man es mit ausgestrecktem Arm berühren kann, ohne sich vorbeugen zu müssen. Nach einiger Zeit verlässt man das Firnfeld und es geht nun über Abbruch, Schneebrücke und Randkluft in eine Felsenrinne.

Dieser Überstieg machte uns ein wenig Beschwerden. Wir stehen zu fünft vor der Spalte plötzlich gleitet ein Begleiter von uns aus. Er will sich am Pickel festhalten, aber derselbe bricht entzwei und mit einem Stück in der Hand geht es mit ihm hinab ins Ungewisse. Dies alles in wenigen Sekunden bis das rettende Seil straff gespannt von uns gehalten wird. Ich betrat nun als erster die verhängnisvolle Schneebrücke, natürlich von hinten gut gesichert. Unter mir der gähnende Schrund. Sie trägt mich und schwer fällt auf der andern Seite die Axt auf das splitternde Eis und mit einigen Stufen erreiche ich wieder festen Boden. Der Pickel wird nun bis zur Hacke eingerammt um welchen nun das sichernde Seil gelegt wird. Es folgen nun meine Kameraden. Die Brücke trägt noch drei Mann, doch beim letzten zerfällt sie in sich zusammen. Der Boden unter seinen Füßen verschwindet und das Seil tat wieder rettend seinen Dienst. Wir sind nun wieder beisammen und es geht nun die Felsenrinne hinauf bis unterhalb der „Tete de Leone“. Von dort können wir die ganze italienische Seite des Matterhorns überschauen. Man blickt in eine Felsenwildnis hinauf, so hoch und ungeheuerlich, so öd und verlassen, dass das Auge es kaum zu fassen vermag. Ein mächtiges Gebilde erhebt sich vom Grat, genannt der „Große Turm“. Hoch darüber der Hahnenkamm, auf ihm Turm an Turm, Zacken an Zacken, den Wächtern gleich, die drohend den Zugang zu den darüber befindlichen Pic Tyndall zu versperren scheinen. Das Schneefeld, das sich unterhalb des Hahnenkammes befindet, ist das Leichentuch. Den merkwürdigsten Anblick aber bildet das kleine Bauwerk aus Holz das oberhalb eines Felsendaches steht.

Es ist unser heutiges Ziel die Savojahütte (3830m). Der Weg zu ihr führt erst unterhalb der Tete de Leone über ein sehr steiles Eisfeld zu dem riesenhaften Felsentor des Col de Leone. Wir sind nun am eigentlichen Grat des Matterhorns. In luftiger Höhe und bei starkem Wind geht es den Grat hinauf bis zum Kamm. Hier hängt an senkrechter, glatter Wand ein ausgewaschenes Hanfseil. Wir befinden sich nun auf glatten, schiefen Platten die überschritten beziehungsweise überkrochen werden. Es geht nun wieder auf Eis und Fels etwas leichter aufwärts bis uns wieder ein Seil in die Höhe bringen soll. Das ist nun die letzte Anstrengung für heute, wir stehen vor der Hütte. Nach 15 Stunden ist das Ziel erstritten.

Dieser Aufstieg hat jeden von aus genügt müde betreten war die Hütte. Doch zum Ausruhen ist es noch nicht Zeit, jeder hat seine Arbeit: Schnee zum Kochen holen, Holz spalten, Feuer machen und Speck schneiden. Bald knisterte es und prasselte, bald zuckte die rote Glut. Wir kochen Suppe, Tee und Bohnenkaffee. Schon nach kurzer Zeit schlürfen wir die wärmenden Getränke mit einem Wohlbehagen ein. Das Geschirr wurde wieder gereinigt und die Hütte in Ordnung gebracht. Nun wird das Nachtlager gerichtet: Decken zusammengeschleppt, noch einmal dem Herde mit ein paar Klötzen das rote Maul gestopft, dass er recht schwitzen solle, rot werden vor Wut über die großen Knüppel in seinem Leibe. Während draußen stockfinstere Nacht hereingebrochen ist und der Wind um die weltverlassene Hütte heulte, schliefen wir in dem schönen, geheizten Raum ein.
Noch ist es tiefe Nacht als die Taschenlampen die Zifferblätter beleuchten. Es ist halb drei Uhr. Wir stehen auf, alle Vorbereitungen werden getroffen für den Weitermarsch. In der Hütte ist es ziemlich kalt geworden. Draußen heult der Wind noch stärker als am Abend. Keiner hatte große Lust um den schützenden Bau zu verlassen und tatsächlich kommen wir zu dem einstimmigen Beschluss, uns noch einmal niederzulegen um den frühen Morgen abzuwarten, was allerdings unser Verhängnis für die kommende Nacht war. Um halb fünf verließen wir die Hütte und hinauf geht es auf den luftigen Grat zum großen Turm. Wir blicken hinauf zum Gipfel, der allerdings von hier noch sehr weit entfernt ist, und sehen wie der starke Wind den Schnee aufwirbelt und mächtige Schneefahnen bildet, die von den ersten Strahlen der Sonne beleuchtet werden.
Es geht weiter auf den zackigen Grat bis zum Fuße des Hahnenkamms. An den Felsen schräg entlanggehend wird das „Leichentuch“ erreicht, jenes steil abfallendes Schneefeld, das vorsichtig auf der Höhe überschritten werden muss. Dann folgen weniger steile Felsen bis an eine Wand. Ein Hanfseil hängt wieder herab, das sich hoch oben in den Felsen verliert. Es ist das nach dem ersten Besteiger dieser 2. Wand benannte „Tyndallseil“. Durch die Last des Rucksacks hangeln wir mühsam hinauf. Die Höhe des Hahnenkamms ist damit erklommen. Es geht nun auf den Grat etwas leichter aufwärts, dann über das steilabstürzende Firnband genannt die „Krawatte“ dem Grat zu, der auf dem „Pic Tyndall“ ausläuft. Hier haben wir eine Überraschung: Der Gipfelblock des Berges zeigt sich plötzlich in seiner ganzen, gewaltigen Größe. Es ist als erhebe sich ein neuer Berg da drüben über den wildzerklüfteten Pic Tyndall Grat. Vorsichtig geht es weiter auf den scharfen Grat über Firnschneiden-Wechten hinweg und um Felszacken herum, neben denen die unergründlichen Tiefen gähnen. Das „Enjambement“ wird erreicht, das ist die Kluft zwischen Pic Tyndall und dem eigentlichen Gipfelblock. Der Überstieg, eine ganz schmale Schneeleiste kaum dass der Fuß einen Halt findet, wird in einer Höhe von 4000m überschritten. Es geht nun weiter über leichtes Geröll, dann werden die Felsen steiler und steiler bis sie sich wieder in glatte Wände verwandeln, die durch herab hängende Seile wieder überwunden werden müssen. Keuchend arbeiten wir uns hinauf wir sind schon wieder 13 Stunden ohne Rast gestiegen und die menschliche Kraft hat eben doch auch ihre Grenzen. Nach diesen anstrengenden Klimmzügen stehen wir nun vor einer Strickleiter. Die Wand ist so überhängend, dass man das obere Ende der Leiter nicht zu sehen vermag. Unter ihr geht es ins Bodenlose. Sie wird durch den starken Wind hin und her geschleudert. Mit aller Gewalt und mit den letzten Kräften geht es an vereisten Sprossen diese Leiter hinauf, an deren Sprossen der Wind und das Wetter tagaus, tagein nagen.

Man schlägt sein Leben bei einer solchen Tour oft in Lebensgefahr. Der Tod steht unter deinen Fußsohlen und lauert. Ob es nun 4000 m oder 100 m Luft sind die unter dir liegen das ist nebensächlich. Es tönt nur unwiderstehlich im Innern: Hinauf, empor! Wir sind ja nicht mehr weit vom Gipfel entfernt dort lacht die Sonne, die Freiheit, heilige Freiheit. Der Gipfel ist unser Symbol. Senkrechte Felsen und gähnende Tiefen ringsum. Die Kletterei wird immer schwieriger, aber man merkt es kaum mehr. Jeder hat die Ahnung des Gipfels, den sicheren Sieg. Es gibt nur noch eins: hinauf, hinauf. Man steigt nun auf ein Felsband links hinaus, von dort läuft nun der Schlussgrat zum Gipfel. Der Grat, der noch immer verdeckt was geheimnisvoll dort drüben liegt, beginnt zu fallen. Der Schleier lüftet sich, nur noch einige wenige Schritte, wir stehen vor dem Kreuz und reichen uns auf dem Gipfel des Matterhorns die Hände. Es ist sechs Uhr abends. Ich muss nun an den schönen Vers denken den ich auf dem Gipfel des Totenkirchls gelesen habe:

„Gepriesen sei der Herr der Welt,
der diesen Berg so hoch gestellt.
Wo man sich nur durch Mut und Kraft
den Weg zum Gipfel schafft.“

Dieses Kreuz haben die italienischen Führer heraufgeschafft, zu Ehren und Andenken an ihren Kameraden Carrel, der als erster den Weg den ich nun beschrieben habe, zum Gipfel fand. Wir verlassen den italienischen Gipfel und gehen über den scharfen Grat zum Schweizer Gipfel, der nur mit einer Holzstange gekrönt ist. Wundervolle, unvergessliche Ausblicke sind uns für eine ganz kurze Zeit vergönnt. Im Westen erblicken wir den eisgekrönten Montblanc, neben ihm den mächtigen Grand Combin, davor eine Mauer von Zacken und Gipfeln wirr durcheinander.

Im Norden das Berner Oberland mit seinen weiten Gletschern vor uns das Zermatter Weißhorn. Im Süden die fernen Westalpen und das schöne Italien. Wir sehen hinunter auf die Weideplätze des Valtournenche. Da gibt es dunkle, düstere Wälder und heitersonnige Wiesen, schäumende Wasserfälle und stille Seen, fruchtbare Felder und wilde Einöden, düstere Felsen und freundliche Schneeberge. Vieles stürmt in der Tat auf dem stolzen Gipfel auf uns ein und lässt unser Herz erbeben in freudigen Stolz, aber Whymper hat auch nicht unrecht, wenn er sagt: Das Auge schweift über eine Menge von Gegenständen, von denen jeder an sich vielleicht großartig ist, und wandert durch diesen Reichtum verwirrt, von einem zum andern, wobei der Eindruck den der erste gemacht, vom zweiten verwischt wird.

Im Osten erhebt sich das Massiv des Monte Rosa. Ihm schließen sich zur Rechten Lyskamm, Zwillinge und das Breithorn an, deren langgestreckte Gletscherströme sich in die Täler hinunter ziehen beinahe bis nach Zermatt, dessen Hotels und grüne Wiesen neben dem glitzernden Bache freundlich winken. Jetzt ist es fast sieben und allerhöchste Zeit um den Gipfel zu verlassen. Es ist also zu Ende mit dem Emporstreben es geht wieder hinunter in diese kleine, enge Welt. Vorsichtig gehend steigen wir den steilen Firnhang hinab. Es dämmerte schon als wir die Felsen erreichten. Es geht an den hinabhängenden Seilen rasch hinunter. Dann betraten wir einen sehr steilen Eishang. Die Eisen bohrten sich klirrend, ins harte Eis. Sie wollten schon nicht mehr eingreifen. Da, ein Sturz der Erste gleitet aus und reißt den Zweiten mit hinab. Aber in noch kürzerer Zeit wurde dieser Sturz pariert. Und auf diesen folgten nochmals zwei weitere Abstürze, aber jedes Mal stand uns das Glück zur Seite. Eine kleine Erregung machte sich bei uns bemerkbar, unsicher geht es weiter. Wir verfolgen nun den schräg abfallenden Grat der zur Schulter hinabzieht. Drüben im Osten hat die Nacht inzwischen ihren Einzug gehalten, nur die Eisriesen leuchten noch im milden Rot, stahlblaue Härte liegt in den Tälern. Rasch kriechen die Schatten empor, der gelbgewordene Himmel verblasst und bald umfängt auch die schneebedeckten Gipfel ein kaltes Blau. Wir befinden uns unterhalb der Schulter. Der Tag ist gewesen, für immer dahin.

Der matte Lichtschein von Zermatt dringt zu uns herauf. Wir zünden die Laternen an, Schritt für Schritt geht es ins Ungewisse. Die Gefahr, mit einem der lockeren Felsblöcke in die Tiefe zu stürzen war so groß, dass ich den Vorschlag machte hier zu biwakieren. Zwei Kameraden waren anderer Meinung, denn mit einen solchen unfreiwilligen Biwak ist in vielen Fällen, besonders wenn schlechtes Wetter eintritt, Gefahr für Leben und Gesundheit des Bergsteigers verbunden, denn wir sind noch in einer Höhe von 4200 Metern. Sie wollten das alpine Notsignal geben und abwarten bis Hilfe kommt. Nach kurzer Beratung kommen wir zu den Entschluss zu biwakieren. Jeder musste sich diesem unfreiwilligen Biwak fügen. Aber der Platz den wir für unser Nachtlager hatten, war so ungünstig, dass wir mit den Laternen herumleuchteten um etwas Besseres zu finden. Aber kein schneefreies Plätzchen, kein Unterschlupf, kein Felsendach war zu finden. Im freien Gelände sind wir der Nacht und dem Unwetter preisgegeben. Die Felsen müssten zuerst von Schnee und Eis gesäubert werden. Jeder zog sich nun zum Schlafengehen an, gewöhnlich zieht man sich aus. Zuletzt verbinden wir uns mit dem Seil, das am einen Felsblock befestigt wurde. Die Zeit vor Mitternacht verging sehr rasch durch Unterhaltung. Allstündlich wurde Tee gebraut der unsere Lebensgeister immer wach hielt. Da sieht man erst, was ein einziger Becher warmen Tees wert ist. Stunde um Stunde schleicht nun in entsetzlichen langsamen Warten dahin. Eisige Kälte dringt uns durch die Kleider, die Minuten werden zu Stunden. Wir verfallen in einen Halbschlummer, werden aber von Seppl Fink, der nur einen Stehplatz eingenommen hatte, immer geweckt. Bis endlich der sehnsüchtig erwartende Morgen graut. Dann ein Recken und Strecken und Stampfen. Die Arme werden um den Körper geschlagen bis endlich der steife Körper wieder beweglich geworden ist. Dann wird der Abstieg früh um fünf fortgesetzt. Es ist stark bewölkt. Anfangs geht die Kletterei noch langsam denn die Glieder versagen noch ihren Dienst. Nach kurzer Zeit begegnet uns die erste Führerpartie welche den Gipfel zu streben. Vorsichtig geht es weiter, Schritt für Schritt an mächtigen Zacken und Grattürmen vorbei.

Die Aussicht verschwindet allmählich, starke Nebel ziehen vom Tal herauf. Wir überschreiten die oberen Mosleyplatten und die ersten Schneeflocken fallen leicht herab. Und nach einigen Minuten stehen wir ganz überrascht vor der Solvayhütte (4000 m). Wir traten in den schützenden Bau ein um den eingesetzten Schneesturm zu entrinnen. Diese Schutzhütte Solvay klebt wie ein Adlerhorst zwischen den unteren und den oberen Mosleyplatten. Drei Jahre brauchte es, bis das Material zu ihren Aufbau in die schwindelnde Höhe hinaufgebracht wurde. Sie bietet für etwa 15 Personen Platz, doch fehlt Holz und Herd und sie darf nur im Notfall benützt werden. Es waren schon mehrere Führer und Touristen versammelt die auch den Gipfel noch besteigen wollten, aber hier durch den Schneesturm und Gewitter festgehalten wurden. Die Führerpartien welche uns früh im Abstieg begegnet sind, treffen auch in der Hütte ein. Sie waren gezwungen kurz vor dem Gipfel wieder kehrt zu machen. Drei Teilnehmer von unserer Partie hatten sich auf die Matratzen gelegt und sind in einen tiefen Schlaf verfallen. Unterdessen ließ der Schneesturm nach und sämtliche Führer und Touristen verließen die Hütte um zur Matterhornhütte (heutige "Hörnlihütte") und von dort nach Zermatt abzusteigen. Wir waren nun wieder allein. Die Rücksicht die wir auf unsere drei schlafenden Kameraden walten ließen, sollten wir büßen. Um zehn Uhr weckten wir sie. Schneesturm und Gewitter haben nun von neuen begonnen. Trotzdem rüsteten wir zum Abstieg und hinaus ging es in den Höllentanz. Gleichmäßig weiß ist der Fels geworden, bis 10 cm hoch liegt der Schnee auf Griff und Tritt. Starker Schneefall ist eingetreten. Ein Blitzen und Krachen. Immer lauter heult der zum Sturm gesteigerte Wind. Der Pickel fing zu sausen an, in den Hauen machte sich ein knisterndes Geräusch bemerkbar. Das ist das Zeichen, dass man sich in der Gewitterwolke selbst befindet. Da ist es höchste Zeit den Pickel, wie überhaupt alle größeren Metallgegenstände, Steigeisen etc. möglichst schnell und weit von sich zu entfernen. Aber wir sind ja im Abstieg und man hat zu große Liebe zu seinen Begleitern wie Pickel und Steigeisen um sie vielleicht weg zu werfen. Denn sie sind hauptsächlich im Abstieg treue Helfer. So verlässt man sich eben auf gut Glück und hinunter helfen ja alle Engel: Schritt für Schritt geht es über die untere Mosleyplatte. Unser Seil wird steif und unbiegsam und ist schon ca. 25mm stark geworden von Eis und Schnee. Wieder blitzt und kracht es zu gleicher Zeit. Wir werden von elektrischen Entladungen getroffen, was auch kein angenehmes Gefühl ist. In diesem Toben kämpfen fünf Menschen. Ein Nichts - und doch trotzbietend diesen All - im Vertrauen auf ihr Können, ihr Glück und Kameradschaft. Die schwierige Platte liegt hinter uns und rascher geht es hinunter. Fast müssen wir unseren Geruchsinn vertrauen in diesem Schneegestöber, Nebel und Gewitter um die richtige Route einhalten zu können. Unterhalb der alten, zerfallenen Matterhornhütte wird eine ausgesetzte Stelle passiert, von dort geht es hinüber zum letzten Gratabschnitt. Ein heftiger Windstoß trat für einen Augenblick ein und wir erblicken tief unter uns das Ziel, die Matterhornhütte. Doch im nächsten Moment sind wir wieder in ein eintöniges Grau gehüllt. Der Grat wird nun verlassen wir traversieren hinaus zum Couloir. Noch ein kurzes Stück, wir sind am Ausstieg. Das Seil wird abgelegt und wir stampfen durch den einen halben Meter tiefen Neuschnee hinüber zur Matterhornhütte.

Nach achtstündigem Schneesturm betraten wir abends um sechs die Schwelle der gastlichen Matterhornhütte. Glühwein und warmes Essen brachten unsere nasskalten Körper wieder einigermaßen in Ordnung. Bald hängen unsere Kleider zum Trocknen und wir legen uns, eingehüllt in warme Decken, um die langentbehrte, wohlverdiente Ruhe zu genießen. Am anderen Morgen hatte sich der Schneesturm gelegt und dichter Nebel hatte die Berge eingehüllt. Der weitere Abstieg ein gut angelegter Maultierpfad führt uns hinunter zum Schwarzsee mit Kapelle. Von dort hinab durch stämmige Wälder dann vorbei an den Weilern mit schwarzbraunen Berghäuschen hinunter nach Zermatt. Wir schreiten durch die engen Straßen, gemustert von Kurgästen aus verschiedenen Ländern unserem Hotel zu. Wir haben nun das Matterhorn dieses Jahr als erste Partie überschritten, es liegt nun hinter uns.
Unser innigster Wunsch, diesen kühnen Felskegel zu überschreiten, ist in Erfüllung gegangen. Am andern Tag verlassen wir Zermatt. Zum letzten Mal blicken wir hinauf zum Matterhorn an dem wir so viel erleben und lernen durften. Majestätisch reckt es gehüllt sich im tiefen Schnee, im Festkleid, in den blauen Äther. Wir fahren nun zurück nach Spiez, von dort fahren wir mit dem Dampfer über den Thuner See nach Interlaken. Interlaken liegt an der Aare zwischen Thuner und Brienzer See ist südländisch gebaut. Durch die Bergkette im Norden gegen Winde geschützt, erfreut es sich schon im Frühjahr eines milden Klimas, es gehört zu den ältesten Ferienorten der Schweiz. Wir besteigen nun wieder das Schiff, welches uns über den Brienzer See nach Brienz bringt. Wir fuhren an den Gießbuchfällen die aus einer Höhe von 300 m von Fels zu Fels in den Seen stürzen. Brienz erstreckt sich fast 2 km lang am See hin, hoch überragt von Brienzergrat, und ist der Hauptsitz des Oberländer Holzschnitz-Gewerks. Wir fahren nun von Brienz mit der Schmalspurbahn mit Zahn-Betrieb über den Brünigpass. Zwischen den Wilerhorn im Westen und dem Gibel im Osten liegt der Bahnhof Brünig. Von dort geht es wieder in die Talsohle am 6 km langen Sarner See entlang zur Station Alpnachstad am Vierwaldstättersee. Das Schiff schaufelte und steuerte uns über einen herrlich gelegenen See nach Luzern. Luzern ist die Hauptstadt des gleichnamigen Kantons und Mittelpunkt des Schweizer Fremdenverkehrs. Es liegt sehr malerisch am See, hinter dem Bahnhof erhebt sich der Pilatus auf welchen die 4610 m lange Zahnradbahn hinaufführt. Von Luzern fahren wir zurück über Zürich nach Romanshorn. Zum letzten Mal betreten wir das Schiff. Bei Mondschein geht es über den sehr bewegten Bodensee nach Friedrichshafen um die Seeluft noch einige Tage genießen zu können bevor wir wieder ins Alltägliche zurückkehren.

Ich bin nun am Schlusse meines Vortrages angelangt; ich hoffe und wünsche nur, dass auch sie diese Naturschönheiten sowie das Matterhorn kennenlernen. Aber Grundbedingung ist ein eiserner Wille und Liebe zu den Bergen. Denn wie die Welt sich wandeln mag, rastlos in Weben und Streben, Bergvolk und grüne Bergeswelt, Sie haben ewiges Leben.
 
(Aus dem Handschriftlichen übertragen von Horst Fürsattel mit Transkribus Texterkennung)


Hans Kißkalt
Henriette Kißkalt
Kurt Fürsattel
Henriette und Kurt


Startseite [Home]     Impressum     Datenschutz