Matterhorn-Überschreitung 25.-29. July 1924
Vortrags-Manuskript von Christoph Rotter aus dem Jahr 1924 im Wortlaut
„Über eine Reise durch die Schweiz und Besteigung des Matterhorns
von der Italienischen zur Schweizer Seite“
Meine sehr verehrten Zuhörer,
wir werden heute eine Reise durch die Schweiz nach Zermatt machen - um von dort
das Matterhorn von der italienischen zur Schweizer Seite zu überschreiten.
Das Matterhorn spielte in meinen Träumen stets eine hervorragende Rolle.
Oft dachte ich, wann wird es dir vergönnt sein von da oben das Meer von
Bergen und Tälern zu schauen. Nun sollte die Träumerei ihr Ende finden.
Am Sonntag, den 25. Juli traten wir zu fünft die langersehnte Tour an um
das schöne Land der Schweiz und das Matterhorn kennenzulernen. Der D-Zug
brachte uns von hier nach Lindau. Nach kurzer Zeit verlassen wir den Hafen und
unser Dampfer segelt bei klaren Wetter nach Romanshorn. Unsere Blicke wenden
sich nach rechts wir sehen das herrlich ausgebaute Bad Schachen.
In Romanshorn angekommen fahren wir dann mit dem Zug über Zürich nach
Bern, das ist unser heutiges Ziel. Bern die Hauptstadt des volkreichsten und
zweitgrößten Kantons liegt auf einem von der Aare umflossenen Felsplateau.
Am nächsten Tag fährt uns die Bahn nach Thun, eine altertümliche
Stadt bildet in seiner reizenden Lage an der raschen, grünen Aare eine
würdige Eingangspforte zum Berner Oberland. Prächtig ist der Blick
auf die Schneegipfel der Blüemlisalp. Über der Stadt ragt weit sichtbar
der kräftige, von Ecktürmen flankierte Turm des 1182 erbauten Zähringen-Ryburger
Schlosses. Wir fahren eine kurze Zeit am Ufer des Thuner Sees entlang, dann
durch das Kandertal über Spietz nach Brig.
Von Spietz nach Brig führt man mit der Lötschbergbahn - die in den
Jahren 1906-1913 erbaut wurde, durch 34 Tunnel und über 22 Brücken.
Ihr höchster Punkt 1244 m liegt in der Mitte des großen Tunnels.
Die Bahn steigt in zwei großen Schleifen, wovon die zweite sich in einem
1645 m langen Tunnel zurückbiegt an der Ruine Felsenburg vorbei. Man sieht
diese zuerst über sich, dann vor sich und zuletzt unter sich. Nach der
Station Kandersteg tritt die Bahn in den 14500 m langen Lötschbergtunnel.
Von dort geht es wieder hinab ins Tal über Brig, dem Knotenpunkt für
die Simplonbahn, die Lötschbergbahn und die Furkabahn, nach Visp. In Visp
betreten wir die Zahnradbahn welche uns nach Zermatt bringt – sie ist
von Juni bis Oktober in Bet+rieb. Die Bahn wendet sich nach Süden der grauweißen,
raschen Visp zu. Links und rechts Weinberge, führt sie sehr steil in die
Höhe. Am rechten Ufer bei den Hütten von Zermatt führt sie zum
letzten Mal über die Visp hoch über den schäumenden Fluss und
wir sehen schon im Hintergrund die eisgepanzerten Berge, das Breithorn und das
kleine Matterhorn. Wir fahren noch eine kurze Strecke in diesem Hochtal, dann
noch ein kurzes Tunnel und plötzlich tritt im Hintergrund das Matterhorn
hervor - wir sind in Zermatt. Vor uns liegt im Mittelgrund der schuttbedeckte
Gornergletscher, oben die Schneefelder des Theodulgletschers, links das kleine
Matterhorn und Breithorn und rechts das gewaltige Matterhorn.
Zermatt, ein internationales Dorf mit 800 Einwohnern, liegt 1620 m hoch umgrenzt
von grünen, steilen Bergen. Zermatt hat einen König. Hochragend thront
über ihm ein Gebieter, um den sich alles in diesem engen Hochtal dreht,
zu dem die Fremden mit Staunen und Grauen, die Einheimischen mit Dank empor
blicken. Denn ihm schulden sie es in erster Linie, dass aus dem weltentfernten
Gebirgsdorf die menschenwimmelnde Touristenstation mit ihren vierstöckigen
Hotels und ihrer Zahnradbahn, das gelobte Land der Alpersteiger geworden ist.
Der König ist das Matterhorn. Alle Welt spricht von ihm, tagaus, tagein,
solange der Fremdenstrom die Kammern flutet. Leute, die nie auf einem Hochgipfel
waren, wissen mit den Verhältnissen des Riesen genauesten Bescheid. Als
wäre es gestern gewesen, erzählt man sich allstündlich die Einzelheiten
der ersten Besteigung am 13. Juli 1865. Dieser kühne Felszacken wurde im
Jahr van den Engländern: Edward Whymper, Charles Hudson, Francis Douglas,
Robert Hadow mit den Führern Michel Croz und den zwei Taugwaldern das erste
Mal bestiegen. Beim Abstieg trat jene grässliche Katastrophe ein, ein schauerliches
Memento. Hadaw glitt unweit des Gipfels aus und stürzte mit Hudson, Douglas
und Croz über die Nordwand nach dem Matterhorngletscher, während Whymper
und die zwei Taugwalder durch Reißen des Seiles gerettet wurden.
Die Gornergratbahn, eine Zahnradbahn mit elektrischen Betrieb vom Juni bis September,
überschreitet die Visp und steigt an der östlichen Talseite aufwärts
mit Ansicht auf Triftgletscher, Wellenkuppe, Trifthorn und Rothorn, auf der
hohen, von Steinpfeilern getragenen Eisenbrücke über die Schlucht
des Findelbaches. Sie führt durch drei kurze Tunnel und im Bogen durch
den Unteralptunnel mit Blick auf das Matterhorn. Die Bahn erreicht eine Höhe
von 3120m bei der Endstation Gornergrat unterhalb des Kulmhotels.
Wir kehren nun zurück nach Zermatt, unsere Rucksäcke werden etwas
entlastet – wir sind fertig zum Abmarsch. Wir verlassen am Montag zwei
Uhr nachmittags Zermatt. Wir schreiten durch das alte Zermatt der Visp entlang
dem Matterhorn entgegen. Es ist ein prächtiger Sommertag. Klar scheint
die Sonne aus dem tiefblauen Himmel herab, eine flimmernde Glut liegt über
dem Tal. Je höher wir steigen, umso mehr reckt sich das Matterhorn in die
Höhe, scheint ins Ungeheure zu wachsen. Es geht nun durch herrliche Arvenwälder
hindurch in die Region von Felstrümmern. Wir haben hier eine wunderbare
Sicht in die Eiswelt die sich jenseits des Matterhorns hervorhebt. Das Breithorn,
Zwillinge, Lyskamm und der alles überragende Monte Rosa. Eine ungeheure
Mauer von Eis und Schnee. Nach vierstündigem Steigen erreichen wir die
Gandegghütte unterhalb des Breithorns auf 3322m.
Von hier sehen wir das Matterhorn als Pyramide. Der Gipfel ein eisiger Zacken
ragt in den blauen Äther hinein- strahlend umflutet von dem unendlichen
Licht. Abends hatten wir einen wunderbaren Sonnenuntergang mit einer herrlichen
Beleuchtung des Monte Rosa und des Breithorns. Es war fast ein Alpenglühen,
das uns ein wenig Schrecken einjagte, denn wir wissen, dass auf dasselbe schlechtes
Wetter folgt. Noch ein kurzer Rundblick und wir legten uns zum Schlafen nieder.
Die Nacht war sehr kalt. Früh vier hieß es raus aus den Federn. Nach
einer viertel Stunde verließen wir die Hütte. Es ist ziemlich frisch,
kalter Wind bläst uns entgegen. Über uns der klare Himmel mit leuchtenden
Sternen und vor uns das Matterhorn. Um dreiviertel fünf betreten wir den
(Furgg-) Gletscher. Wir seilen uns an und raschen Schrittes geht es dem Matterhorn
zu, das dunkel, drohend und übermächtig auf uns herabblickt. Der Gletscher,
der hier spaltenfrei und beinahe eben ist wird schnell überschritten. Einige
schweigende Minuten sind vergangen, da flammt es plötzlich an der Spitze
des Matterhorns rotleuchtend auf. Nur ein kleiner Punkt, dann da und da. Es
ist als entzünden sich die Berge mit einem Male. Und rasch vergrößert
sich das Licht, in feurigen Wellen flutet es an den Riesen herab, die plötzlich
in ungeahnten Glanz hervortreten, während drunten im Tal noch das eintönige
Grau herrscht. Nach sehr mühsamen und beschwerlichen Aufstieg über
sehr steile Eishänge erklommen wir unter manchen Schweißtropfen das
Furgenjoch (3500m), dort werfen wir unsere Rücksäcke ab und halten
eine kleine Pause.
Nun geht es auf der anderen Seite wieder hinab und wir umgehen das Matterhorn
auf der Südseite über Eis und Schneehänge bis wir auf den Weg
kommen der von der italienischen Ortschaft Breuil heraufzieht. Diesen verfolgen
wir nun aufwärts und nach kurzer Zeit sind stehen wir vor einem Eisenkreuz.
Hier ist der italienische Führer Carrel in einem Schneesturm von Ermattung
gestorben. Das ist das erste Wahrzeichen des Berges, dem auch dieser Kämpfer
zum Opfer fiel, nachdem er ihn Jahrzehnte hindurch bestiegen hatte. Der Weitermarsch
führt über mächtige Felsenabsätze, die sogenannte Große
Treppe, hinauf. Dann folgt ein steiles Firnfeld das zum „Col de Leone“
hinaufzieht. Es ist so steil, dass man es mit ausgestrecktem Arm berühren
kann, ohne sich vorbeugen zu müssen. Nach einiger Zeit verlässt man
das Firnfeld und es geht nun über Abbruch, Schneebrücke und Randkluft
in eine Felsenrinne.
Dieser Überstieg machte uns ein wenig Beschwerden. Wir stehen zu fünft
vor der Spalte plötzlich gleitet ein Begleiter von uns aus. Er will sich
am Pickel festhalten, aber derselbe bricht entzwei und mit einem Stück
in der Hand geht es mit ihm hinab ins Ungewisse. Dies alles in wenigen Sekunden
bis das rettende Seil straff gespannt von uns gehalten wird. Ich betrat nun
als erster die verhängnisvolle Schneebrücke, natürlich von hinten
gut gesichert. Unter mir der gähnende Schrund. Sie trägt mich und
schwer fällt auf der andern Seite die Axt auf das splitternde Eis und mit
einigen Stufen erreiche ich wieder festen Boden. Der Pickel wird nun bis zur
Hacke eingerammt um welchen nun das sichernde Seil gelegt wird. Es folgen nun
meine Kameraden. Die Brücke trägt noch drei Mann, doch beim letzten
zerfällt sie in sich zusammen. Der Boden unter seinen Füßen
verschwindet und das Seil tat wieder rettend seinen Dienst. Wir sind nun wieder
beisammen und es geht nun die Felsenrinne hinauf bis unterhalb der „Tete
de Leone“. Von dort können wir die ganze italienische Seite des Matterhorns
überschauen. Man blickt in eine Felsenwildnis hinauf, so hoch und ungeheuerlich,
so öd und verlassen, dass das Auge es kaum zu fassen vermag. Ein mächtiges
Gebilde erhebt sich vom Grat, genannt der „Große Turm“. Hoch
darüber der Hahnenkamm, auf ihm Turm an Turm, Zacken an Zacken, den Wächtern
gleich, die drohend den Zugang zu den darüber befindlichen Pic Tyndall
zu versperren scheinen. Das Schneefeld, das sich unterhalb des Hahnenkammes
befindet, ist das Leichentuch. Den merkwürdigsten Anblick aber bildet das
kleine Bauwerk aus Holz das oberhalb eines Felsendaches steht.
Es ist unser heutiges Ziel die Savojahütte (3830m). Der Weg zu ihr führt
erst unterhalb der Tete de Leone über ein sehr steiles Eisfeld zu dem riesenhaften
Felsentor des Col de Leone. Wir sind nun am eigentlichen Grat des Matterhorns.
In luftiger Höhe und bei starkem Wind geht es den Grat hinauf bis zum Kamm.
Hier hängt an senkrechter, glatter Wand ein ausgewaschenes Hanfseil. Wir
befinden sich nun auf glatten, schiefen Platten die überschritten beziehungsweise
überkrochen werden. Es geht nun wieder auf Eis und Fels etwas leichter
aufwärts bis uns wieder ein Seil in die Höhe bringen soll. Das ist
nun die letzte Anstrengung für heute, wir stehen vor der Hütte. Nach
15 Stunden ist das Ziel erstritten.
Dieser Aufstieg hat jeden von aus genügt müde betreten war die Hütte.
Doch zum Ausruhen ist es noch nicht Zeit, jeder hat seine Arbeit: Schnee zum
Kochen holen, Holz spalten, Feuer machen und Speck schneiden. Bald knisterte
es und prasselte, bald zuckte die rote Glut. Wir kochen Suppe, Tee und Bohnenkaffee.
Schon nach kurzer Zeit schlürfen wir die wärmenden Getränke mit
einem Wohlbehagen ein. Das Geschirr wurde wieder gereinigt und die Hütte
in Ordnung gebracht. Nun wird das Nachtlager gerichtet: Decken zusammengeschleppt,
noch einmal dem Herde mit ein paar Klötzen das rote Maul gestopft, dass
er recht schwitzen solle, rot werden vor Wut über die großen Knüppel
in seinem Leibe. Während draußen stockfinstere Nacht hereingebrochen
ist und der Wind um die weltverlassene Hütte heulte, schliefen wir in dem
schönen, geheizten Raum ein.
Noch ist es tiefe Nacht als die Taschenlampen die Zifferblätter beleuchten.
Es ist halb drei Uhr. Wir stehen auf, alle Vorbereitungen werden getroffen für
den Weitermarsch. In der Hütte ist es ziemlich kalt geworden. Draußen
heult der Wind noch stärker als am Abend. Keiner hatte große Lust
um den schützenden Bau zu verlassen und tatsächlich kommen wir zu
dem einstimmigen Beschluss, uns noch einmal niederzulegen um den frühen
Morgen abzuwarten, was allerdings unser Verhängnis für die kommende
Nacht war. Um halb fünf verließen wir die Hütte und hinauf geht
es auf den luftigen Grat zum großen Turm. Wir blicken hinauf zum Gipfel,
der allerdings von hier noch sehr weit entfernt ist, und sehen wie der starke
Wind den Schnee aufwirbelt und mächtige Schneefahnen bildet, die von den
ersten Strahlen der Sonne beleuchtet werden.
Es geht weiter auf den zackigen Grat bis zum Fuße des Hahnenkamms. An
den Felsen schräg entlanggehend wird das „Leichentuch“ erreicht,
jenes steil abfallendes Schneefeld, das vorsichtig auf der Höhe überschritten
werden muss. Dann folgen weniger steile Felsen bis an eine Wand. Ein Hanfseil
hängt wieder herab, das sich hoch oben in den Felsen verliert. Es ist das
nach dem ersten Besteiger dieser 2. Wand benannte „Tyndallseil“.
Durch die Last des Rucksacks hangeln wir mühsam hinauf. Die Höhe des
Hahnenkamms ist damit erklommen. Es geht nun auf den Grat etwas leichter aufwärts,
dann über das steilabstürzende Firnband genannt die „Krawatte“
dem Grat zu, der auf dem „Pic Tyndall“ ausläuft. Hier haben
wir eine Überraschung: Der Gipfelblock des Berges zeigt sich plötzlich
in seiner ganzen, gewaltigen Größe. Es ist als erhebe sich ein neuer
Berg da drüben über den wildzerklüfteten Pic Tyndall Grat. Vorsichtig
geht es weiter auf den scharfen Grat über Firnschneiden-Wechten hinweg
und um Felszacken herum, neben denen die unergründlichen Tiefen gähnen.
Das „Enjambement“ wird erreicht, das ist die Kluft zwischen Pic
Tyndall und dem eigentlichen Gipfelblock. Der Überstieg, eine ganz schmale
Schneeleiste kaum dass der Fuß einen Halt findet, wird in einer Höhe
von 4000m überschritten. Es geht nun weiter über leichtes Geröll,
dann werden die Felsen steiler und steiler bis sie sich wieder in glatte Wände
verwandeln, die durch herab hängende Seile wieder überwunden werden
müssen. Keuchend arbeiten wir uns hinauf wir sind schon wieder 13 Stunden
ohne Rast gestiegen und die menschliche Kraft hat eben doch auch ihre Grenzen.
Nach diesen anstrengenden Klimmzügen stehen wir nun vor einer Strickleiter.
Die Wand ist so überhängend, dass man das obere Ende der Leiter nicht
zu sehen vermag. Unter ihr geht es ins Bodenlose. Sie wird durch den starken
Wind hin und her geschleudert. Mit aller Gewalt und mit den letzten Kräften
geht es an vereisten Sprossen diese Leiter hinauf, an deren Sprossen der Wind
und das Wetter tagaus, tagein nagen.
Man schlägt sein Leben bei einer solchen Tour oft in Lebensgefahr. Der
Tod steht unter deinen Fußsohlen und lauert. Ob es nun 4000 m oder 100
m Luft sind die unter dir liegen das ist nebensächlich. Es tönt nur
unwiderstehlich im Innern: Hinauf, empor! Wir sind ja nicht mehr weit vom Gipfel
entfernt dort lacht die Sonne, die Freiheit, heilige Freiheit. Der Gipfel ist
unser Symbol. Senkrechte Felsen und gähnende Tiefen ringsum. Die Kletterei
wird immer schwieriger, aber man merkt es kaum mehr. Jeder hat die Ahnung des
Gipfels, den sicheren Sieg. Es gibt nur noch eins: hinauf, hinauf. Man steigt
nun auf ein Felsband links hinaus, von dort läuft nun der Schlussgrat zum
Gipfel. Der Grat, der noch immer verdeckt was geheimnisvoll dort drüben
liegt, beginnt zu fallen. Der Schleier lüftet sich, nur noch einige wenige
Schritte, wir stehen vor dem Kreuz und reichen uns auf dem Gipfel des Matterhorns
die Hände. Es ist sechs Uhr abends. Ich muss nun an den schönen Vers
denken den ich auf dem Gipfel des Totenkirchls gelesen habe:
„Gepriesen sei der Herr der Welt,
der diesen Berg so hoch gestellt.
Wo man sich nur durch Mut und Kraft
den Weg zum Gipfel schafft.“
Dieses Kreuz haben die italienischen Führer heraufgeschafft, zu Ehren und
Andenken an ihren Kameraden Carrel, der als erster den Weg den ich nun beschrieben
habe, zum Gipfel fand. Wir verlassen den italienischen Gipfel und gehen über
den scharfen Grat zum Schweizer Gipfel, der nur mit einer Holzstange gekrönt
ist. Wundervolle, unvergessliche Ausblicke sind uns für eine ganz kurze
Zeit vergönnt. Im Westen erblicken wir den eisgekrönten Montblanc,
neben ihm den mächtigen Grand Combin, davor eine Mauer von Zacken und Gipfeln
wirr durcheinander.
Im Norden das Berner Oberland mit seinen weiten Gletschern vor uns das Zermatter
Weißhorn. Im Süden die fernen Westalpen und das schöne Italien.
Wir sehen hinunter auf die Weideplätze des Valtournenche. Da gibt es dunkle,
düstere Wälder und heitersonnige Wiesen, schäumende Wasserfälle
und stille Seen, fruchtbare Felder und wilde Einöden, düstere Felsen
und freundliche Schneeberge. Vieles stürmt in der Tat auf dem stolzen Gipfel
auf uns ein und lässt unser Herz erbeben in freudigen Stolz, aber Whymper
hat auch nicht unrecht, wenn er sagt: Das Auge schweift über eine Menge
von Gegenständen, von denen jeder an sich vielleicht großartig ist,
und wandert durch diesen Reichtum verwirrt, von einem zum andern, wobei der
Eindruck den der erste gemacht, vom zweiten verwischt wird.
Im Osten erhebt sich das Massiv des Monte Rosa. Ihm schließen sich zur
Rechten Lyskamm, Zwillinge und das Breithorn an, deren langgestreckte Gletscherströme
sich in die Täler hinunter ziehen beinahe bis nach Zermatt, dessen Hotels
und grüne Wiesen neben dem glitzernden Bache freundlich winken. Jetzt ist
es fast sieben und allerhöchste Zeit um den Gipfel zu verlassen. Es ist
also zu Ende mit dem Emporstreben es geht wieder hinunter in diese kleine, enge
Welt. Vorsichtig gehend steigen wir den steilen Firnhang hinab. Es dämmerte
schon als wir die Felsen erreichten. Es geht an den hinabhängenden Seilen
rasch hinunter. Dann betraten wir einen sehr steilen Eishang. Die Eisen bohrten
sich klirrend, ins harte Eis. Sie wollten schon nicht mehr eingreifen. Da, ein
Sturz der Erste gleitet aus und reißt den Zweiten mit hinab. Aber in noch
kürzerer Zeit wurde dieser Sturz pariert. Und auf diesen folgten nochmals
zwei weitere Abstürze, aber jedes Mal stand uns das Glück zur Seite.
Eine kleine Erregung machte sich bei uns bemerkbar, unsicher geht es weiter.
Wir verfolgen nun den schräg abfallenden Grat der zur Schulter hinabzieht.
Drüben im Osten hat die Nacht inzwischen ihren Einzug gehalten, nur die
Eisriesen leuchten noch im milden Rot, stahlblaue Härte liegt in den Tälern.
Rasch kriechen die Schatten empor, der gelbgewordene Himmel verblasst und bald
umfängt auch die schneebedeckten Gipfel ein kaltes Blau. Wir befinden uns
unterhalb der Schulter. Der Tag ist gewesen, für immer dahin.
Der matte Lichtschein von Zermatt dringt zu uns herauf. Wir zünden die
Laternen an, Schritt für Schritt geht es ins Ungewisse. Die Gefahr, mit
einem der lockeren Felsblöcke in die Tiefe zu stürzen war so groß,
dass ich den Vorschlag machte hier zu biwakieren. Zwei Kameraden waren anderer
Meinung, denn mit einen solchen unfreiwilligen Biwak ist in vielen Fällen,
besonders wenn schlechtes Wetter eintritt, Gefahr für Leben und Gesundheit
des Bergsteigers verbunden, denn wir sind noch in einer Höhe von 4200 Metern.
Sie wollten das alpine Notsignal geben und abwarten bis Hilfe kommt. Nach kurzer
Beratung kommen wir zu den Entschluss zu biwakieren. Jeder musste sich diesem
unfreiwilligen Biwak fügen. Aber der Platz den wir für unser Nachtlager
hatten, war so ungünstig, dass wir mit den Laternen herumleuchteten um
etwas Besseres zu finden. Aber kein schneefreies Plätzchen, kein Unterschlupf,
kein Felsendach war zu finden. Im freien Gelände sind wir der Nacht und
dem Unwetter preisgegeben. Die Felsen müssten zuerst von Schnee und Eis
gesäubert werden. Jeder zog sich nun zum Schlafengehen an, gewöhnlich
zieht man sich aus. Zuletzt verbinden wir uns mit dem Seil, das am einen Felsblock
befestigt wurde. Die Zeit vor Mitternacht verging sehr rasch durch Unterhaltung.
Allstündlich wurde Tee gebraut der unsere Lebensgeister immer wach hielt.
Da sieht man erst, was ein einziger Becher warmen Tees wert ist. Stunde um Stunde
schleicht nun in entsetzlichen langsamen Warten dahin. Eisige Kälte dringt
uns durch die Kleider, die Minuten werden zu Stunden. Wir verfallen in einen
Halbschlummer, werden aber von Seppl Fink, der nur einen Stehplatz eingenommen
hatte, immer geweckt. Bis endlich der sehnsüchtig erwartende Morgen graut.
Dann ein Recken und Strecken und Stampfen. Die Arme werden um den Körper
geschlagen bis endlich der steife Körper wieder beweglich geworden ist.
Dann wird der Abstieg früh um fünf fortgesetzt. Es ist stark bewölkt.
Anfangs geht die Kletterei noch langsam denn die Glieder versagen noch ihren
Dienst. Nach kurzer Zeit begegnet uns die erste Führerpartie welche den
Gipfel zu streben. Vorsichtig geht es weiter, Schritt für Schritt an mächtigen
Zacken und Grattürmen vorbei.
Die Aussicht verschwindet allmählich, starke Nebel ziehen vom Tal herauf.
Wir überschreiten die oberen Mosleyplatten und die ersten Schneeflocken
fallen leicht herab. Und nach einigen Minuten stehen wir ganz überrascht
vor der Solvayhütte (4000 m). Wir traten in den schützenden Bau ein
um den eingesetzten Schneesturm zu entrinnen. Diese Schutzhütte Solvay
klebt wie ein Adlerhorst zwischen den unteren und den oberen Mosleyplatten.
Drei Jahre brauchte es, bis das Material zu ihren Aufbau in die schwindelnde
Höhe hinaufgebracht wurde. Sie bietet für etwa 15 Personen Platz,
doch fehlt Holz und Herd und sie darf nur im Notfall benützt werden. Es
waren schon mehrere Führer und Touristen versammelt die auch den Gipfel
noch besteigen wollten, aber hier durch den Schneesturm und Gewitter festgehalten
wurden. Die Führerpartien welche uns früh im Abstieg begegnet sind,
treffen auch in der Hütte ein. Sie waren gezwungen kurz vor dem Gipfel
wieder kehrt zu machen. Drei Teilnehmer von unserer Partie hatten sich auf die
Matratzen gelegt und sind in einen tiefen Schlaf verfallen. Unterdessen ließ
der Schneesturm nach und sämtliche Führer und Touristen verließen
die Hütte um zur Matterhornhütte (heutige "Hörnlihütte")
und von dort nach Zermatt abzusteigen. Wir waren nun wieder allein. Die Rücksicht
die wir auf unsere drei schlafenden Kameraden walten ließen, sollten wir
büßen. Um zehn Uhr weckten wir sie. Schneesturm und Gewitter haben
nun von neuen begonnen. Trotzdem rüsteten wir zum Abstieg und hinaus ging
es in den Höllentanz. Gleichmäßig weiß ist der Fels geworden,
bis 10 cm hoch liegt der Schnee auf Griff und Tritt. Starker Schneefall ist
eingetreten. Ein Blitzen und Krachen. Immer lauter heult der zum Sturm gesteigerte
Wind. Der Pickel fing zu sausen an, in den Hauen machte sich ein knisterndes
Geräusch bemerkbar. Das ist das Zeichen, dass man sich in der Gewitterwolke
selbst befindet. Da ist es höchste Zeit den Pickel, wie überhaupt
alle größeren Metallgegenstände, Steigeisen etc. möglichst
schnell und weit von sich zu entfernen. Aber wir sind ja im Abstieg und man
hat zu große Liebe zu seinen Begleitern wie Pickel und Steigeisen um sie
vielleicht weg zu werfen. Denn sie sind hauptsächlich im Abstieg treue
Helfer. So verlässt man sich eben auf gut Glück und hinunter helfen
ja alle Engel: Schritt für Schritt geht es über die untere Mosleyplatte.
Unser Seil wird steif und unbiegsam und ist schon ca. 25mm stark geworden von
Eis und Schnee. Wieder blitzt und kracht es zu gleicher Zeit. Wir werden von
elektrischen Entladungen getroffen, was auch kein angenehmes Gefühl ist.
In diesem Toben kämpfen fünf Menschen. Ein Nichts - und doch trotzbietend
diesen All - im Vertrauen auf ihr Können, ihr Glück und Kameradschaft.
Die schwierige Platte liegt hinter uns und rascher geht es hinunter. Fast müssen
wir unseren Geruchsinn vertrauen in diesem Schneegestöber, Nebel und Gewitter
um die richtige Route einhalten zu können. Unterhalb der alten, zerfallenen
Matterhornhütte wird eine ausgesetzte Stelle passiert, von dort geht es
hinüber zum letzten Gratabschnitt. Ein heftiger Windstoß trat für
einen Augenblick ein und wir erblicken tief unter uns das Ziel, die Matterhornhütte.
Doch im nächsten Moment sind wir wieder in ein eintöniges Grau gehüllt.
Der Grat wird nun verlassen wir traversieren hinaus zum Couloir. Noch ein kurzes
Stück, wir sind am Ausstieg. Das Seil wird abgelegt und wir stampfen durch
den einen halben Meter tiefen Neuschnee hinüber zur Matterhornhütte.
Nach achtstündigem Schneesturm betraten wir abends um sechs die Schwelle
der gastlichen Matterhornhütte. Glühwein und warmes Essen brachten
unsere nasskalten Körper wieder einigermaßen in Ordnung. Bald hängen
unsere Kleider zum Trocknen und wir legen uns, eingehüllt in warme Decken,
um die langentbehrte, wohlverdiente Ruhe zu genießen. Am anderen Morgen
hatte sich der Schneesturm gelegt und dichter Nebel hatte die Berge eingehüllt.
Der weitere Abstieg ein gut angelegter Maultierpfad führt uns hinunter
zum Schwarzsee mit Kapelle. Von dort hinab durch stämmige Wälder dann
vorbei an den Weilern mit schwarzbraunen Berghäuschen hinunter nach Zermatt.
Wir schreiten durch die engen Straßen, gemustert von Kurgästen aus
verschiedenen Ländern unserem Hotel zu. Wir haben nun das Matterhorn dieses
Jahr als erste Partie überschritten, es liegt nun hinter uns.
Unser innigster Wunsch, diesen kühnen Felskegel zu überschreiten,
ist in Erfüllung gegangen. Am andern Tag verlassen wir Zermatt. Zum letzten
Mal blicken wir hinauf zum Matterhorn an dem wir so viel erleben und lernen
durften. Majestätisch reckt es gehüllt sich im tiefen Schnee, im Festkleid,
in den blauen Äther. Wir fahren nun zurück nach Spiez, von dort fahren
wir mit dem Dampfer über den Thuner See nach Interlaken. Interlaken liegt
an der Aare zwischen Thuner und Brienzer See ist südländisch gebaut.
Durch die Bergkette im Norden gegen Winde geschützt, erfreut es sich schon
im Frühjahr eines milden Klimas, es gehört zu den ältesten Ferienorten
der Schweiz. Wir besteigen nun wieder das Schiff, welches uns über den
Brienzer See nach Brienz bringt. Wir fuhren an den Gießbuchfällen
die aus einer Höhe von 300 m von Fels zu Fels in den Seen stürzen.
Brienz erstreckt sich fast 2 km lang am See hin, hoch überragt von Brienzergrat,
und ist der Hauptsitz des Oberländer Holzschnitz-Gewerks. Wir fahren nun
von Brienz mit der Schmalspurbahn mit Zahn-Betrieb über den Brünigpass.
Zwischen den Wilerhorn im Westen und dem Gibel im Osten liegt der Bahnhof Brünig.
Von dort geht es wieder in die Talsohle am 6 km langen Sarner See entlang zur
Station Alpnachstad am Vierwaldstättersee. Das Schiff schaufelte und steuerte
uns über einen herrlich gelegenen See nach Luzern. Luzern ist die Hauptstadt
des gleichnamigen Kantons und Mittelpunkt des Schweizer Fremdenverkehrs. Es
liegt sehr malerisch am See, hinter dem Bahnhof erhebt sich der Pilatus auf
welchen die 4610 m lange Zahnradbahn hinaufführt. Von Luzern fahren wir
zurück über Zürich nach Romanshorn. Zum letzten Mal betreten
wir das Schiff. Bei Mondschein geht es über den sehr bewegten Bodensee
nach Friedrichshafen um die Seeluft noch einige Tage genießen zu können
bevor wir wieder ins Alltägliche zurückkehren.
Ich bin nun am Schlusse meines Vortrages angelangt; ich hoffe und wünsche
nur, dass auch sie diese Naturschönheiten sowie das Matterhorn kennenlernen.
Aber Grundbedingung ist ein eiserner Wille und Liebe zu den Bergen. Denn wie
die Welt sich wandeln mag, rastlos in Weben und Streben, Bergvolk und grüne
Bergeswelt, Sie haben ewiges Leben.
(Aus dem Handschriftlichen übertragen von Horst Fürsattel mit Transkribus
Texterkennung)
Hans Kißkalt
Henriette Kißkalt
Kurt Fürsattel
Henriette und Kurt